Leichtlehmbau einmal anders

Lübecker Pavillonprojekt geht neue, internationale Wege. Reethackschnitzel sorgen für nachhaltige Wärmedämmung
Die Stimmung auf der Baustelle ist trotz sengender Sonne und 29°C im Schatten total entspannt. „Das Material lässt sich superleicht herstellen, obwohl ich es noch nie gemacht habe. Und es ist sehr nachhaltig“, sagt Ali Al-Saadi (24). Der Architekturstudent der Fachhochschule Lübeck hat seit den frühen Morgenstunden mit seinem Kommilitonen Harun Topel (23) aus Hamburg schon sieben Bütten (zu je 30 Litern) Leichtlehm angerührt: „Ein Drittel Lehm. Zwei Drittel Reet.“ Genauer gesagt: Reet-Hackschnitzel. Sie sind ein neues Produkt des marktführenden deutschen Schilfrohrhandels Hiss Reet, Bad Oldesloe. Die 10 bis 50 mm großen Schilfabschnitte erfahren hier in Lübeck einen ihrer ersten Praxistests. Und zwar unter 45 Augenpaaren – das sind die angehenden Architekten der Fachhochschule Lübeck unter der Leitung ihres Professors Heiner Lippe (55) aus Lübeck. Das Projekt: eine Herberge für Wandergesellen aus dem Handwerk, 1986 an der Willy-Brandt-Allee errichtet, wird neu aufgebaut. Fahrende Gesellen unter der Ägide von Pit Zimmerer (29) aus Nürnberg hatten die Idee und gewannen die Studenten für eine einwöchige Projektwoche „Leichtlehm“

Leichtlehm mit Reet lässt sich problemlos von Laien verarbeiten


Leicht sollen die erneuerten Fichten- und Lärchenbalken des zweistöckigen Pavillonbaus (8 Meter hoch, 10 Quadratmeter Grundfläche) tatsächlich im Rahmen des Projekts ausgefacht werden. „Wir probieren hier eine ganz neue Mischung. Traditionell werden Holzhackschnitzel in den Lehm getan. Wir verwenden Reet. Es dient dazu, das Rohgewicht des Lehms von 2000 kg pro Kubikmeter zu verringern, damit die Mischung gut dämmt“, erklärt Heiner Lippe. „Oh, Mann, die Mischungen sind total unterschiedlich. Können mal die gleichen Leute am Betonmischer bleiben“, ruft einer der Studenten. „Ja, sie sollen aus Fehlern lernen“, lacht Heiner Lippe. „Ist zu viel Lehm drin, dämmt das Material nicht. Es darf nur ein Hauch Lehm auf den Häckseln sein. Dann ist es richtig.“ Im Gebäudeinneren werden jetzt auf Gefachebreite geschnittene Reetmatten von Hiss Stück für Stück an die Balken angenagelt und von oben per Hand mit der Mischung gefüllt. „Die Schilfmatten sind ein guter Halter für die natürliche und ressourcenschonende Dämmung und sehr gut zu verarbeiten“, betont Architekturstudent Manuel Horn (21) aus Hamburg. „Normalerweise nimmt man statt Schilfmatten Haselnuss- oder Weidenruten, die dann verflochten werden. Das haben wir bewusst nicht getan“, sagt Heiner Lippe. Der Wissenschaftler plant an der Fachhochschule auch Testreihen, um die Reet-Hackschnitzel weiterzuentwickeln: „Es geht darum, das Mischungsverhältnis mit dem Lehm und die Bauphysik zu verbessern.“ Die ersten Projekttage haben dem Professor bewiesen: „Die Verarbeitung von Schilfhäckseln ist so einfach wie die von Holzhackschnitzeln. Ich benötige keine Sondergeräte und nicht viel Körperkraft.“ Auch für interessierte Laien stellt Leichtlehm daher keine Schwierigkeit dar. Lippe gilt international als Lehmbaukoryphäe, seit er eine zweijährige Sonderausbildung in Grenoble abgeschlossen hatte.

Fertigziegel aus Lehm und Reet gehen um die Welt


Einige Gefache im Pavillonturm sollen in den kommenden Tagen eine andere, ganz besondere Füllung erhalten: Fertigelemente aus Lehm und Reet-Hackschnitzeln. Das ist der Part von Kübra Sabanci (21) aus Hamburg. Die Architekturstudentin füllt mit bloßen Händen Holzformen mit der Mischung: „Die Formen haben wir auf der Baustelle einfach aus mitteldichten Faserplatten zusammengeschraubt. Wir lassen den Inhalt etwa eine Woche trocknen, heben die fertigen Leichtlehmziegel dann heraus und bauen sie ein.“ Die junge Türkin ist für diese Arbeit prädestiniert: „In ihrer Jugend haben meine Großeltern in Anatolien Häuser mit Leichtlehm gebaut. Mein Traum: eine türkische Stadt aus nachwachsenden Rohstoffen zu entwerfen.“ Auch das Leichtlehmprojekt an der Willy-Brandt-Allee ist nur die Vorbereitung für internationale Vorhaben. „Wir testen, ob wir die Fertiglehmziegel eventuell für den internationalen Hochschulwettbewerb Solar-Decathlon einsetzen“, sagt Professor Lippe. Die Studenten aus Lübeck bilden mit angehenden Architekten aus dem Senegal und Marokko eines von 20 internationalen Teams, die im September 2019 zwischen Casablanca und Marrakesch ein solarenergiebetriebenes Gebäude aus nachwachsenden Rohstoffen erstellen und bewohnen werden. Lippe: „Eventuell nehmen wir da Reet aus Bad Oldesloe mit. Wir haben aber auch Partner im Senegal, die mit Schilf arbeiten. Möglich wäre es, mit dem Knowhow von Hiss und unserer Expertise Produkte zu entwickeln, die für den marokkanischen Markt interessant sein könnten.“ Fünf marokkanische Austauschstudenten waren bereits auf der Baustelle im Einsatz. Der Wandergesellen-Pavillon ist auf Wunsch kostenlos zu besichtigen. Interessierte melden sich bei Heiner Lippe unter der Email heiner.lippe@fh-luebeck.de

Reet und Lehm als Inspirationsquelle


Für die angehenden Architekten ist die Lübecker Baustelle und der Praxistext im Leichtlehmbau zugleich auch Inspiration. „Gern würde ich mir so ein Gartenhaus aus Leichtlehm bauen. Er ist recycelbar, schadstofffrei hergestellt. Ein regionales, kostengünstiges Material. Und wenn es mir nicht mehr gefällt, kann ich es mit Wasser auflösen und neu verwenden“, sagt Christin Luther. „Es ist nachhaltig und klasse, regt zu eigenen Entwürfen für Gartenhäuser an“, findet Leon Elsner (20) aus Lübeck. „Ich arbeite gern mit nachhaltigen Rohstoffen. Reet wäre auch was für die Innendämmung eines Daches“, erklärt Inga Michelau (21) aus Lübeck, die aus einer Dachdeckerfamilie stammt. Da der Leichtlehmbau so problemlos „mit Wasser abreißbar“ ist, muss der Pavillon jetzt gut trocknen. Als letzter Arbeitsschritt folgt ein Oberputz aus Kalk, der das Gebäude wetterfest macht.

 
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Leichtlehm – so wird es gemacht


Leichtlehm eignet sich als Füllmaterial für Innenschalen, zur Dämmung von Außenwänden, zur Füllung von Fachwerk oder zur Herstellung von Leichtlehmwänden. Es wird als Erstes eine Schlämme aus Lehm, ggf. Sand und Wasser angerührt (bei größeren Mengen im Betonmischer). Dann werden die Reethackschnitzel mit der Schlämme übergossen. Der Lehmanteil der Mischung sollte mindestens 30% betragen. Als Schalung eignen sich Schilfrohrplatten, die als verlorene Schalung dienen (sie verbleiben im Gebäude). Sie werden mit der Leichtlehmmischung hinterfüllt, die nur wenig verdichtet werden muss. Nach gründlicher Trocknung können die so entstandenen Wände einfach überputzt werden. Der ökologische Fußabdruck von Leichtlehm ist deswegen so günstig, weil bei Verarbeitung und Transport nur 5-10 Prozent der Energie für gebrannte Ziegel oder Beton verbraucht werden und Lehm zu 100% recycelt werden kann. Ein weiterer Vorteil: Leichtlehm schützt die Holzbalken wegen seiner geringen Gleichgewichtsfeuchte von ca. 5% vor Pilzen und Insektenbefall, erspart also chemische Holzschutzmittel. Diese Pressemitteilung mit Fotolinks downloaden...
„Lehm kann man endlos neu verarbeiten. Das ist gut für den ökologischen Fußabdruck“, sagt Wandergeselle Claas Zimmerer (24) aus Witzenhausen. Er zeigt den Lehmputz an der Außenseite des Pavillons, der noch einen schützenden Oberputz aus Kalk erha
„Lehm kann man endlos neu verarbeiten. Das ist gut für den ökologischen Fußabdruck“, sagt Wandergeselle Claas Zimmerer (24) aus Witzenhausen. Er zeigt den Lehmputz an der Außenseite des Pavillons, der noch einen schützenden Oberputz aus Kalk erha
Seit dem Jahr 2017 hat Pit Zimmerer (29), Wandergeselle aus Nürnberg, den Pavillon mit seinen Kollegen neu aufgebaut. Sein Anliegen: „nachhaltiges, ressourcenschonendes Arbeiten.“
„Lehm ist der Klebstoff für die Leichtlehmmischung“, erklären (v.l.) die Architekturstudenten Harun Topel (23) aus Hamburg und Ali Al-Saadi (24) aus Lübeck, hier beim Anrühren der Mischung aus Lehm und Reet-Hackschitzeln in der Bütt.
Ali Al-Saadi (24) aus Lübeck füllt die Reet-Hackschnitzel in die Schlämme.
Bereits seit dem Jahr 2017 laufen die Renovierungsarbeiten an dem Pavillon in Lübeck. Wandergesellen haben immer wieder an der Holzkonstruktion weitergearbeitet.
„Ich nehme diesmal fünf Liter Wasser und einen 1,810-Liter-Eimer Wasser“, erzählt Christin Luther (28) aus Lübeck. Die Architekturstudentin rührt mit dem Betonmischer die Schlämme für den Leichtlehm an.
„Mensch, ist der Lehm hart.“ In wenigen Minuten hat Architekturstudentin Christin Luther (28) aus Lübeck den Naturbaustoff zerkleinert.
Leon Elsner (20), Architekturstudent aus Lübeck, sorgt für die richtige Mischung für die Gefache: „Der Leichtlehm darf nicht zu feucht sein. Dann wird er zu schwer und trocknet schlecht.“
„Ich fülle Fertigziegel aus Lehm und Reet-Hackschnitzel in selbstgebaute Holzformen. Sie sind für die Gefache unter dem Dach bestimmt“, erklärt Architekturstudentin Kübra Sabanci (21) aus Lübeck.
„Diese Leichtlehmfertigziegel haben wir mit Luftlöchern gebaut, um die Dämmwirkung zu verstärken“, sagt Architekturstudentin Kübra Sabanci (21) aus Lübeck.
Als Formen für die Leichtlehmziegel lassen sich Reste von mitteldichten Faserplatten verschrauben, in die von oben die Mischung aus Lehm und Reet-Hackschnitzeln gefüllt wird.
„Wir arbeiten gern mit nachhaltigen Rohstoffen“, meint Architekturstudentin Inga Michelau (21) aus Lübeck. Sie füllt im Pavilloninneren die verlorene Schalung aus Reetmatten mit der Lehm-Reethackschnitzel-Mischung. Hinten: Manuel Horn (21) aus Hambu
„So eine Wand ist optisch mal etwas ganz anderes als die üblichen Gestaltungen“, freut sich Architekturstudentin Neele Jensen (22). Die Hamburgerin füllt die Reetmatten mit einer Mischung aus Lehm und Reethackschnitzeln. Hinten: Manuel Horn (21) aus
„Mit dem Fuchsschwanz haben wir diese Schilfrohrmatten auf Gefachbreite geschnitten“, sagt Professor Heiner Lippe (55) aus Lübeck. „Wir verwenden sie als verlorene Schalung.“